Trotz des Ölbooms ist es um die Wirtschaft nicht gut bestellt
WirtschaftsBlatt-Leitartikel:
"Wahlen? Welche Wahlen?" - das vor wenigen Tagen getätigte lakonische Statement des ehemaligen polnischen Finanzministers und Notenbankchefs Leszek Balcerowicz zu der Hofübergabe im Kreml lässt in seiner Deutlichkeit kaum zu wünschen übrig. Kritische Beobachter weisen wiederholt darauf hin, dass sich die Demokratie in Russland nur auf die Requisiten beschränkt.
Denn um an der Wahlurne frei entscheiden zu können, bedarf es bekanntlich einer ernsthaften Alternative - und die ist in Russland mit bloßem Auge kaum noch zu erkennen. Das Moskauer Machtorchester übertönt seit Jahren jede noch so leise Dissonanz mit einer Lautstärke, die an die Bolschoi Don Kosaken gemahnt. Und das russische Publikum findet daran sichtlich Gefallen.
Denn eines ist klar: Selbst ohne die zwangsweise in die Wahllokale gekarrten Soldaten und mit ernsthafteren Gegenkandidaten hätte Wladimir Putins Kandidat Dimitri Medwedew die Wahl wohl für sich entschieden. Die Russen setzen die Ära Putin mit wachsendem Wohlstand und innerer Stabilität gleich.
Nach den desaströsen 90er- Jahren, deren trauriger Höhepunkt der Beinahe-Staatsbankrott 1998 war, ist man wieder satt und zufrieden - und blickt mit Zuversicht nach vorne. Dass nicht der Kreml, sondern der Höhenflug der Rohstoffpreise für den seit einigen Jahren anhaltenden Wirtschaftsboom verantwortlich ist, tut nichts zur Sache. Die Gleichsetzung des gütigen Zaren Putin mit dem persönlichen Wohlstand hat sich in vielen Köpfen festgesetzt.
Dieser Gleichsetzung zu entsprechen, wird die erste - und wohl auch schwierigste - Herausforderung für den neuen Präsidenten sein. Denn hinter den Öl- und Gas-Kulissen ist es um die russische Wirtschaft nicht gut bestellt. Während die Rohstoffe gut 80 Prozent der russischen Exporte ausmachen, trägt der Mittelstand nur 15 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt bei. Viele russische Produkte sind international nicht wettbewerbsfähig - was wiederum zu steigenden Importen führt. Das WIIW prognostiziert, dass die russische Leistungsbilanz bereits in ein, zwei Jahren ins Negative kippen dürfte.
Für Medwedew dringender ist allerdings das Problem der Inflation, die im Jänner 12,6 Prozent betrug. Wenn sich die Russen für ihre Rubel immer weniger leisten können, dürfte es mit ihrer satten Zufriedenheit rasch vorbei sein. Damit es nicht so weit kommt, ist Moskau jedes Mittel recht - Preiskontrollen bei Lebensmitteln inklusive. Ob die Methoden einer "gelenkten Demokratie" ausreichen werden, um die Teuerung in den Griff zu kriegen, bleibt abzuwarten.
- ots -
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